05 Februar 2006

Macht Mundart schlau? - Interview mit Walter Tausendpfund


Wie sind doch die Oberpfälzer früher bei uns in der Schule für ihr "Affi" und "Ohi" gehänselt worden, welche Qual war das harte "t" im Deutschaufsatz für den echten Franken von uns.
Kurzum, die "Gassensprache" von einst wird zwar nicht elitär, doch immerhin anerkannt und macht unter Umständen sogar schlau.
Walter Tausendpfund, unser alter Deutsch- und Geschichtelehrer, hat jetzt in einem bemerkenswerten Interview Stellung zur Forderung "Mundart in der Schule" bezogen. Wer das Interview lesen will, hier der Wortlaut:

Macht Dialekt schlau?
Walter Tausendpfund über Mundart in der Schule

Werden Schüler schlauer durch Dialekt? Einige Linguisten jedenfalls fordern die Einführung eines eigenen Unterrichtsfachs. Das Bayerische Kultusministerium verteilt neuerdings sogar eine Handreichung an den Schulen und wirbt damit, dass Mundart das Gefühl von Heimat vermittelt. Was hält Walter Tausendpfund davon? Immerhin ist der 61-Jährige nicht nur bekannter fränkischer Mundart-Dichter, sondern seit über 30 Jahren Deutschlehrer am Pegnitzer Gymnasium.

Herr Tausendpfund , wenn Sie als Dialektkünstler vor Ihrer Klasse stehen — was sprechen Sie?

Walter Tausendpfund : Ich wähle bewusst den Mittelweg zwischen Dialekt und Hochdeutsch und spreche Umgangsdeutsch. Damit gebe ich meinen Schülern hoffentlich das Gefühl, dass sie gut aufgehoben sind und auch, dass ich auf ähnlicher Wellenlänge bin.

Und umgekehrt? Welcher Sprache bedienen sich Ihre Schüler?

Tausendpfund : Ich kann nur von meiner Arbeit am Gymnasiumsprechen. Aber von zu Hause aus sind wenige Mundart gewöhnt. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir hier eine sehr gemischte Bevölkerung sind. Es gibt zum Beispiel viele Zuwanderer, deren Eltern Wert auf gutes Deutsch legen.

Wie offen sind Ihre Schüler für Dialekt?

Tausendpfund : Schüler stehen natürlich im Schatten ihrer Eltern, die wiederum ganz unterschiedliche Einstellungen haben. Die einen finden es gut, wenn Dialekt gesprochen wird. Andere sehen das Erlernen als rückschrittlich, als vertane Zeit und als hinderlich für den Weg zum Abitur oder zum Studium.

Was kann Dialekt, was das Hochdeutsche nicht schafft?

Tausendpfund : Hochdeutsch ist gut, um Theorien und abstrakte Zusammenhänge zu erklären. Dialekt dagegen ist besser für alles, was mit Empfindungen, den eigenen Sorgen und Nöten zu tun hat.

Können Sie ein Beispiel geben?

Tausendpfund : Nehmen Sie den Satz „Ich fühle mich heute nicht gut. “ Mit Dialekt lässt sich das viel präziser ausdrücken. Mir ist zum Heulen. Mir ist speiübel. Mir steht der Schweiß auf der Stirn. Darunter kann man sich viel mehr vorstellen.

Wie sinnvoll ist es dann ihrer Meinung nach, Dialekt in der Schule zu unterrichten?

Tausendpfund : Das Erlernen einer Mundart kommt dem Erwerb einer Zweitsprache gleich und ist damit außerordentlich wertvoll. Das Gehirn wird dabei in vielfältiger Hinsicht aktiviert. Auffassungsgabe und abstraktes Denken werden trainiert. Ich halte es außerdem für einen guten Zusatz, wenn ein Kind die Sprache seiner Umgebung spricht. Dialekt ermöglicht schließlich soziale Integration.

Der Münchner Sprachwissenschaftler Wolfgang Schulze schlägt vor, dass Hochdeutsch an Schulen nur noch Zweitsprache sein soll, Lehrer Mundarten lernen müssten und Schüler im Dialekt schreiben sollen. Halten Sie das für sinnvoll?

Tausendpfund : Das ist übertrieben. Erstens brauchen die Schüler Hochdeutsch, umsich auch über die Region hinaus zu verständigen. Und zweitens gibt es keine Regelwerke für den Dialekt. Damit meine ich nicht, dass Mundart in der Schule nichts zu suchen hat.

Was sieht der Lehrplan vor?

Tausendpfund : Im Lesebuch für das G8 sind bereits Mundartgedichte enthalten, darunter übrigens auch eines von mir. Ich hoffe, dass so etwas mehr und mehr der Fall sein wird. Manche Schüler stehen dem zwar verständnislos gegenüber. Andere freuen sich aber wie ein Honigkuchenpferd, weil sie ihre Sprechweise im Lehrbuchwiederfinden.

Ist der Trend hin zu Dialekt an den Universitäten angekommen?

Tausendpfund : Als ich Germanistik studierte, galt Mundart noch als Gassensprache. Anfang der 70er Jahre hat sich das dann allmählich geändert. Da „durfte “ der Unterricht mundartliche Wendungen enthalten. Trotzdem wurde lange auf verlorenem Posten für die Mundart geworben. Wenn ich mich heutzutage mit Kollegen darüber unterhalte, sind viele sehr aufgeschlossen. Aber es fehlt ihnen oft an didaktischem und methodischem Wissen. Dialekt ist noch nicht Teil der täglichen Praxis.

Wie wichtig ist Ihnen Dialekt?

Tausendpfund : Ich bin in Allersberg bei Nürnberg, also in einer sehr ländlichen Gegend, aufgewachsen. Hätte ich dort keinen Dialekt verstanden, wäre ich als Außenseiter abgestempelt worden. Für mich war Mundart deshalb schon immer eine sehr geschätzte Sprache, ohne die ich ein Stück Persönlichkeit verlieren würde. Interview: EVA LINDNER

Quelle: Nordbayerische Nachrichten, 2. Februar 2006